Seit Monaten liefen seine Vorbereitungen.
Immer völlig geheim.
Niemand war darüber informiert, niemand darin eingeweiht.
Jeder Hinweis darauf wurde konsequent vermieden.
Keiner sollte seinen Plan durchkreuzen können.
Alles schien im grünen Bereich.
Hier ein einzelnes Stück, dort ein einzelnes Stück.
Aufmerksamkeit erregen war kontraproduktiv.
Die einzelnen Komponenten waren für sich allein genommen völlig unspektakulär.
Verluste im Bereich des Irrtums, des falschen Erinnerns.
Da er auch immer darauf achtete nichts zu übertreiben blieben seine Fortschritte ebenso unbeachtet und somit geheim.
Stein für Stein kam somit eine Komponente nach der anderen in seinen Besitz, ergänzte das Puzzle immer weiter.
Hin zu dem gesteckten Ziel.
Hätte jemand Verdacht geschöpft wäre eine Pause im gesamt Konzept, auch hier hatte er dies eingeplant, eingetreten.
Aber bisher war keinem etwas aufgefallen.
Sein sammeln ging über mehrere Stationen, jede unabhängig von der anderen, auch geografisch weit auseinander liegend, vonstatten.
Zeitgleich zu diesen Vorbereitungen, liefen auf der anderen Seite die Abschlüsse.
Hier wurde ein Teil beendet, dort ein Auftrag vergeben.
Alles erschien harmlos.
Unspektakulär.
Business as usual.
Für den einzelnen betrachtet.
In der Gesamtheit aber etwas völlig anderes.
Wäre einer nur misstrauisch geworden , der gesamte Plan wäre gefährdet gewesen.
So bereitete er jeden einzelnen Schritt sorgfältig und vorsichtig vor.
Setzte ihn dann behutsam, immer das Umfeld beobachtend, um.
Bis hin zu dem Punkt das sich das Puzzle der Vollständigkeit näherte.
Die Fahrkarte war der letzte Punkt, der letzte Stein ,auf seiner Checkliste und in diesem Puzzle.
Nun war auch hier ein Haken dran.
Er konnte sein Projekt starten.
Der alte Bundeswehrrucksack hatte ihm schon früher gute Dienste geleistet.
Jetzt würde er auch dafür wieder hervorragend sein.
Er nahm ihn zur Hand, packte das gesamte Puzzle mit ruhiger Hand und kühlem Kopf hinein, zog die Kordel fest und ließ die Verschlüsse aus Kunststoff in die dafür vorgesehenen Ösen schnappen….
Lange hatte er auf diesen Moment hingearbeitet, heute würde es soweit sein.
Ein strahlend blauer Himmel, darin eine Februarsonne die schon wärmen konnte.
Die Geräusche des beginnenden Frühjahres begleiteten ihn auf dem Weg zum Bahnhof.
Ein schöner Tag, würdig dessen, was er vor hatte.
Pünktlich und majestätisch, so als ob der Zug wüsste welche Fracht er transportieren würde, lief der Zug im Bahnhof ein.
Er bestieg ihn und begab sich zu dem für ihn reservierten Platz.
Ebenso pünktlich verließ der Zug den Bahnhof um seinem Ziel entgegen zu eilen.
Einmal Umsteigen, dann würde er dem Ziel in kurzer Zeit sehr nahe sein.
Während der Fahrt las er in seinem Buch, nahm das Angebot des Servicepersonals an und orderte einen Kaffee. Die an seinem Rucksack angebrachte Thermoskanne mit frischem Kaffee völlig ignorierend.
Seine Gedanken waren klar, keine Spur von Reue oder Melancholie. Eine Unsicherheit über das was anlag gab es nicht.
So verging die Zeit. Aus dem iPod erklang seine Lieblingsmusik.
Ein Titel hatte es ihm besonders angetan… Novembermorje
Er kannte die Zeilen des Textes auswendig und sang stumm im Kopf mit.
Fragte sich warum die Gruppe BAP diesen Titel nicht live spielte.
Immer näher kam der Zug dem Punkt des Umstiegs.
Seine Geburtsstadt, nun war er wieder da .
Sein Anschlusszug war so gewählt das er noch einmal die Straßen seiner Jugend beschreiten konnte. Vieles hatte sich hier verändert, manchmal erkannte er altbekannte Ecken nicht wieder.
Neuer Putz, neue Farben. Fassaden renoviert, andere Menschen.
Kaum etwas aus seiner Jugend war noch so, wie er es in der Erinnerung.
Zeit zum Hauptbahnhof zurück zu kehren um seine Reise fort zu setzen.
Genau zur rechten Zeit erreichte er den Bahnsteig, sein Anschlusszug fuhr gerade ein.
Die Sonne war schon leicht über den Zenit hinaus als er seinen Bestimmungsbahnhof erreichte.
Hier hatte sich in all den Jahren nichts verändert.
Das selbe alte Gebäude mit der abblätternden Farbe und dem selben grauen Putz.
Die Zeit schien hier stillgestanden.
Immerhin, seit seinem letzten Aufenthalt, waren schon gut 10 Jahre vergangen.
Noch gut 13km bis zum Endpunkt, er nahm das Taxi um dorthin zu gelangen.
Am Ortsrand angekommen ließ er halten und bezahlte den Taxifahrer.
Nachdem dieser gewendet und seinem Blick entschwunden, ging er in den Ort und schaute auch hier was sich in all den Jahren verändert haben konnte.
Seine alte Heimstatt schien ihn zu grüßen und so schaute er auf der Klingel ob es denn der Name der Menschen war, an die sie damals verkauft hatten.
Er war sich nicht ganz sicher aber es schien das es derselbe Name .
Aus dem Gartenbereich erklang frohes Kinderlachen, ein leichter Schmerz durchfuhr sein Gemüt, es hätte sein Kind sein können…
Langsam querte er die Hauptstraße und begab sich auf den Hügelwärts führenden Feldweg.
Noch etwa 15 Minuten Fußmarsch. Dann wäre sein Ziel erreicht.
Am Wegesrand standen neue Häuser, hatte es nicht immer geheißen es wäre Naturschutzgebiet?
Angst keimte in ihm auf, war sein Platz etwa auch nicht mehr da?
Bebaut mit neuen Häusern,? Die Ruhe und Einsamkeit hinweg gefegt von neuer Besiedlung?
Eiligen Schrittes ging er weiter, doch Gott sei Dank endete der Ort hinter der nächsten Kurve des Feldweges.
Die altbekannte Natur nahm ihn in Empfang. Ruhe kehrte wieder in ihm ein.
Sein Ziel konnte vollendet werden.
Noch 5 Minuten…
Dieser Ort, wie lange war es her das er hier gestanden?
Etliche Jahre.
Ein Hort der Ruhe und auch der Einsamkeit.
Sein Blick schweifte über den Horizont und er konnte das Wahrzeichen seiner Geburtsstadt erkennen. Es schien ihn zu grüßen, ein letzter Gruß.
Sein Fuß würde niemals wieder durch diese Straßen gehen.
Zu Hause würde der Maler jetzt die Wände der Wohnung streichen.
Er hatte sie zum Monatsende gekündigt.
Alle Wände würden in frischem , hellem Weiß erstrahlen.
Jungfräulich würden sie auf einen neuen Bewohner warten.
Sein Ort, er nahm wieder die meditative Ruhe wahr, die er immer so geschätzt.
Die weiten Felder, Waldinseln mit dichtem Unterholz, sein Avalon.
Auf der alten Bank, hier hatte er schon früher gesessen und der Natur zugeschaut, nahm er wieder Platz.
Dann holte er die Thermoskanne mit dem Kaffee raus und goss sich den Becher voll.
Nun zündete er sich eine Zigarette an, inhalierte den Rauch tief ein und genoss den Augenblick.
Alles passte, alles war erledigt.
Der Moment gut gewählt.
Niemand konnte seinen Plan jetzt noch durchkreuzen.
Er würde verschwunden bleiben, unauffindbar.
Für die Menschen die er mochte,liebte und geliebt hatte würde morgen eine SMS auftauchen.
Der modernen Technik sei Dank hatte er den Versand so gewählt.
Es war keine lange SMS, lediglich ein kurzes Lebewohl.
Den leeren Becher und die Thermoskanne wieder am Rucksack verstauend, nahm er jetzt den Weg auf der anderen Seite des Hügel hinab.
Das dichte Gehölz als direktes Ziel ins Auge fassend.
Dahinter, das wusste er, würde das Gelände nochmals abfallen in eine Mulde.
Dort angekommen schaute er sich nochmals um, betrat das Gehölz an einer Stelle die nicht sofort gesehen werden konnte und war zufrieden. Alles war so wie in seiner Erinnerung.
Hinter dem dichten Gehölz erweiterte sich das Gelände zu einem von Bäumen gekränzten Dom, dessen Boden hinab führte zu einer von dornigen Büschen umstandenen Bodenmulde.
Hier lag das Endziel. Uneinsehbar von jeder Richtung. Hier würde er den Sonnenuntergang erleben.
Er würde einschlafen und nicht mehr erwachen.
Profi im Metier der Narkose hatte er auch für sich Qualität bereit.
Besorgt in verschiedenen Kliniken und über lange Zeit.
Aus seinem letzten Einsatz stammten die Medikamente die er dafür brauchte.
Für die Patienten die ihm anvertraut hatte er immer gut gesorgt.
Ihnen die Angst auf die ein oder andere Weise genommen.
Er war ein Meister, er wusste wie eine gute Narkose ging.
Schmerzfrei, Angstfrei.
Auch er wollte für sich nichts anderes.
Viele berufliche Situationen fielen ihm wieder ein.
Während sein berufliches Leben an ihm vorbei zog, packte er den Inhalt des Rucksackes aus und bereitete vor.
Mit ruhiger Hand zog er die Medikamente in Spritzen auf.
Danach legte er alles für den venösen Zugang bereit.
Nun noch das Pflaster zum fixieren und den Stauschlauch.
Die Spritzenpumpen hatten eine Akkulaufzeit von mehreren Stunden, sie zu besorgen war der schwierigste Teil der Operation gewesen.
Ein Grinsen lief über sein Gesicht. Niemand hatte ihn verdächtigt , als sie verschwunden.
Die Infusion, mit einer Kordel am Ast eines Baumes befestigt, versah er mit einem Infusionssystem, welches er wie gewohnt entlüftete. Platzierte die Dreiwegehähne und schloss die Spritzen darüber an. Danach legte er die Spritzen in die Spritzenpumpen ein.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu , es war nun kühl aber nicht kalt.
Zeit die Salbe mit der Anästhesierenden Creme auf seinem Handrücken zu verteilen.
Es würde einige Minuten dauern bis die Wirkung soweit war wie er es wollte.
Die Zeit dazwischen füllte er mit einem Kaffee und ein paar Zigaretten.
Die Adern zeichneten sich gut ab, es wäre nicht wirklich nötig, aber er hasste Schmerzen.
An seinem Kaffee nippend befand er, dass er gut geplant hatte.
Sein Testament, bei einer alten Freundin. Die Schulden bezahlt.
Niemand würde einen finanziellen Schaden nehmen.
Den ein oder anderen würde sein tun sicherlich entsetzen und erschüttern, aber niemand konnte es mehr aufhalten.
Seine Gedanken schweiften ab in Zeiten als er Zweisamkeit noch als Erfüllung betrachtet.
Auch schon Jahre her.
Seit damals war er immer alleine geblieben, ein paar Freunde mit denen er Kontakt gehalten, mehr nicht.
Er war sich nicht sicher ob eine seiner verflossenen ihn wohl vermissen würde.
Egal !
Seine Zeit war um. Es gab kein weiteres Ziel.
Keine Lust auf Neues, Unbekanntes.
Kein spaß mehr am Kampf.
Er war ein alter Wolf geworden, wunderlich und schräg.
Das was er am meisten fürchtete, die Hilflosigkeit, irgendwann anderen ausgeliefert zu sein.
NEIN ! NIEMALS !
Lieber jetzt die Chance nutzen, es sauber und professionell zu beenden.
Auf seinem Handrücken war jetzt das bekannte pelzige Gefühl. Zeit den Stauschlauch anzulegen und sich den venösen Zugang zu stechen.
Durch die jahrelange Übung placierte er den Zugang sicher in der Vene, zog den Stahlmandrin heraus und schloss das Infusionssystem an. Die Infusion lief langsam ein.
Noch eine Zigarette und er würde die Spritzenpumpen starten.
In der einen ein starkes Schmerzmittel, welches einerseits Atemdepressiv andererseits aber schöne Träume verursachen würde.
In der anderen ein schnell wirkendes Schlafmittel.
Beide würden seinen Körper für gut zwei Stunden mit ihrem Inhalt versorgen.
Dazu noch ein Muskelrelaxans welches seine Muskulatur komplett erschlaffen lassen würde.
Der Wirkungseintritt war nach etwa 2 Minuten, da war er dann schon eine Minute im Tiefschlaf, die Wirkungsdauer eine gute Stunde.
Dies zu spritzen, im letzten Augenblick, bevor die Sinne schwanden , seine letzte Handlung.
Er schüttete den letzten Kaffee in seinen Becher und wartete das die Sonne versank.
Wenig später, die letzten Strahlen ließen den Himmel erglühen, die Pumpen waren gestartet, spürte er die einsetzende Müdigkeit. Er kämpfte dagegen an, setzte die Spritze mit dem Muskelrelaxans auf den Konus des venösen Zugangs und injizierte den Inhalt schnell und konsequent.
Ein altes Lied fiel ihm wieder ein….
„ Kein weg zurück“
Ja, ab hier gab es keinen Weg zurück, es war getan, es war vollbracht.
Zeit sich fallen zu lassen.
Die aufkommende Dunkelheit war um ihn und in ihm….
Er sah sich auf einer Straße laufen.
Zulaufend auf eine Frau die er vor langer, langer Zeit geliebt.
Sie lächelte
Er nahm bei ihr angekommen sie in den Arm, küsste und drückte sie.
Sie erwiderte seine Zärtlichkeit und ein wohlig warmes Gefühl durchflutete ihn.
Er war angekommen, das allerletzte Ziel erreicht…