Der S-Bahnwaggon schaukelte leicht von links nach rechts, die Strecke war nicht sehr gut.
Er saß in der letzten Reihe, den Rücken zur Wand, somit den Innenraum komplett im Blick.
Sein Blick schaute die Landschaft, welche sich im beginnenden Morgengrauen abzeichnete.
Rheinhessische Toscana, sanfte Hügel, weite Felder mit Obstbäumen.
Sein Weg ging heute nach Mainz, wie schon die letzten Wochen.
Es herrschte Stille, so früh am Morgen waren nicht sehr viele unterwegs.
Die meisten wohl auf dem Weg zur Arbeit, so wie er.
Der ein oder andere war jeden Tag zu dieser Zeit, immer im selben Waggon sitzend, langsam bekannt.
Er wusste mittlerweile wer wann Zu- oder Ausstieg.
An der Kleidung ließ sich sogar ablesen, wo der Einzelne seinem Tagwerk nachging.
Die nächste Station war erreicht. Hier würde sie zusteigen.
Mitte zwanzig, hellblonde Haare, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz.
Auf dem Kopf ein Base Cap im Military-Look. Die einzige Konstante, ansonsten immer anders gekleidet. Mit leicht melancholischem Blick, der die Frage heraufbeschwor, ob es dafür einen Grund gab.
Immer einen Stahlbecher, er vermutete mit Kaffee gefüllt, in der einen Hand.
In den Ohren das Headset des MP3-Players.
Die Bahn kam zum Stillstand, die Türen öffneten und sie stieg ein.
Blickte sich im Wagen um und ging dann direkt zu ihrem Stammplatz, direkt ihm gegenüber.
Heute sah sie besonders gut aus.
Gekleidet in eine Jeans über der hellbraune Stiefel bis fast zum Knie reichten.
Eine weiße Bluse deren obere drei Knöpfe geöffnet waren und einen attraktiven Ausblick auf das makellose Dekolleté zu ließ. Darüber eine ebenso hellbraune Glattlederjacke, welche ihre schlanke Figur betonte und ihren Busen hervor hob.
Die Haare heute ungebunden, umrahmten ihr schönes Gesicht, in dem die grünen Augen besonders auffielen. Heute trug sie kein Base Cap.
Sie war nicht besonders groß, höchstens 162 cm, dafür aber geballte Sinnlichkeit und Erotik.
Er grüßte sie mit einem Kopfnicken und einem Lächeln, sie lächelte zurück.
Ein Ritual seit den ersten Tagen.
Bisher waren sie nie in ein Gespräch gekommen.
Jeder hing seinen Gedanken nach, bis zum Ausstiegspunkt.
Aus den Lautsprechern wurde Mainz Hauptbahnhof angesagt.
Hier stiegen sie beide immer aus. Hier hatte er sie immer aus den Augen verloren.
Sein letzter Blick war immer der, ihrem verführerischen Gang zu folgen, bis sie die aufwärtsführende Treppe beschritt und in der Menge entschwand.
So passierte es auch heute.
Er ging zu seinem Bussteig, zu dem Bus der ihn zu Klinik fahren würde.
Wenn er mehr Zeit gehabt hätte, er würde ihr folgen.
Sehen, wo sie arbeitet, sich eine Vorstellung machen von ihrem Tagesablauf.
Doch er hatte nur knapp drei Minuten, bis der Bus abfuhr.
Er überlegte ob er an einem freien Tag, diesem Wunsch mehr über sie zu erfahren, folgen sollte.
Sein Bus stand bereit, er stieg ein und die Türen schlossen sich hinter ihm. Die kurze Fahrt zur Klinik hatte begonnen.
Immer noch den Anblick ihrer Gestalt vor Augen stieg er an der Klinik aus und begab sich zu seiner Einsatzstelle.
Der heutige Tag forderte seine ganze Aufmerksamkeit, ein paar sehr gefährdete Patienten standen für heute auf dem Programm.
Keine Zeit irgendwelchen romantischen Gedanken nachzuhängen.
Er bereitete vor, Infusion gerichtet, Medikamente aufgezogen, den Respirator auf Funktion überprüft. Zugänge und Intubationsmaterial für den Einsatz bereitgelegt, den Monitor angeschaltet.
Alles war nun bereit für den ersten Patienten des Tages, sechs weitere würden folgen.
Ein kurzer Moment freier Zeit, was sie wohl jetzt gerade machen würde?
Doch keine Zeit darüber weiter nachzudenken, der erste Patient wurde in die Einleitung gefahren.
Der Anästhesist für heute noch nicht aufgetaucht, schloss er seinen Patienten an das Monitoring aus EKG, Blutdruck und Sauerstoffsättigung an. Legte einen venösen Zugang in die linke Hand, stellte die dazu gehörigen Routinefragen und wartete auf den Beginn der Narkose.
Da es nun schon 08:00 Uhr war und immer noch kein Anästhesist in Sicht, schrieb er die ersten Werte in das Narkoseprotokoll. Es würde also heute zu Verzögerungen im Ablauf kommen.
Nach weiteren Minuten des Wartens erschien der Narkosearzt endlich.
In seinem schlepp zwei Schatten.
Studenten der Medizin, die jetzt ihre Famulatur hatten, ein Praktikum von sechs Wochen.
Zeit, in der diese angehenden Mediziner Fertigkeiten erlernen sollten, die den Alltag bestimmten.
Erstkontakt mit der Realität, den möglichen Fehlern und den manchmal harten Situationen, wo nichts so klappte, wie es sollte. Die allermeisten waren in den ersten Tagen übernervös.
Es würde sich ändern, keine Frage, aber für heute war in der Ecke stehen angesagt.
Durch den Fakt, dass der erste Patient schon auflag und die Zeit deutlich fortgeschritten, verzichtete man auf das Vorstellen der Schatten. Später, wenn der Patient in Narkose war, würde es dazu Gelegenheit geben.
Mit professioneller Gewohnheit ging es nun daran, die verlorene Zeit wieder aufzuholen und den Patienten in den für den Eingriff notwendigen Zustand zu bringen.
Kurze präzise Anweisungen, eigentlich überflüssig für ihn, da er genauso gut wusste, was gebraucht wurde, beherrschte die folgenden Minuten.
Seine Ausführungen, ebenso präzise und routiniert zeichneten einen schnellen Erfolg.
Es war vollbracht, der Patient intubiert, beatmet in tiefer Narkose.
Man fuhr in den OP vor, noch einige Handgriffe und das Operationsteam konnte seine Arbeit aufnehmen.
Nun da die Operation ihren Lauf nahm, war Zeit sich vorzustellen.
Als er den einen Schatten anschaute, hatte er ein leichtes Grinsen im Gesicht.
Die Augen, Flaschengrün und leuchtend.
Als einziges vom Gesicht nicht durch Mundschutz und Haube verdeckt , kannte er.
Daran hatte er sie erkannt.
Die langen blonden Haare waren durch die Haube zu gut versteckt gewesen.
Nun wusste er das, was er zu erfahren gewünscht.
Von jetzt an hatten sie morgens in der Bahn Gesprächsstoff.
Vielleicht würden sie sogar etwas zusammen unternehmen.
To be continued…….
Sonntag, 22. März 2009
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